Grundlagen
Basisinformationen

Grundlagen1

Die Anatomie und Physiologie des Verdauungs- und des Harntrakts werden durch die Anlage eines Stomas wesentlich beeinflusst. Das Wissen hierüber ermöglicht eine detaillierte Aufklärung des Betroffenen.

Anatomie

Die Lage der Organe ist für die Position eines Stomas wichtig. Aber auch ihr Aufbau spielt für unsere Verdauung eine entscheidende Rolle.
Bei der Urostomie sind aufgrund der verschiedenen Operationsmöglichkeiten sowohl das Wissen über den Harntrakt als auch das Wissen über den Verdauungstrakt von Bedeutung.

Der Verdauungstrakt

Der Verdauungstrakt wird grob in zwei Bereiche aufgeteilt:

Der Kopfteil
Hier wird die Nahrung zerkleinert und für die weitere Aufnahme vorbereitet. Dazu gehören der Mund und der Rachen.

Der Rumpfteil
Zum Rumpfteil gehören die Speiseröhre, der Magen, die Gallenblase, der Gallengang, die Bauchspeicheldrüse, die Leber, der Dünndarm und der Dickdarm.
Hier findet die restliche Verdauung statt.

Für den Bereich der Enterostomata sind folgende Organe wichtig:

  • Der Magen (Ventriculus)
  • Der Dünndarm (Intestinum tenue)
  • Der Dickdarm (Intestinum crassum)
  • Der Enddarm mit dem Bereich der Schließmuskel (Rectum)
1 Magen, 2 Dünndarm, 3 Blinddarm mit Wurmfortsatz, 4 aufsteigender Dickdarm, 5 querverlaufender Dickdarm, 6 absteigender Dickdarm, 7 S-förmiger Dickdarm, 8 Mastdarm, 9 After

Der Magen

Der Ventriculus beginnt mit dem Mageneingang (Cardia). Dieser stellt den Übergang von Speiseröhre zum Magen dar. Er wird gefolgt von dem oberen Teil des Magens (Fundus). Dieser liegt über der Cardia. Danach kommt der Magenkörper (Corpus), der den größten Teil des Magens bildet.
Es folgt der Pförtner (Pylorus). Dieser teilt sich noch einmal in die Pförtnerhöhle (Antrum pyloricum) und den Pförtnerkanal (Canalis pyloricus). Im Pförtnerkanal befindet sich der Schließmuskel (Musculus sphincter pylori).
Den Abschluss bildet die Pförtneröffnung (Ostium pyloricum). Die Pförtneröffnung bildet mit dem Schließmuskel den Übergang zum Zwölffingerdarm.

Der Dünndarm

Der Dünndarm teilt sich in folgende Bereiche: 

BezeichnungLänge
Zwölffingerdarm (Duodenum)ca. 24 cm (12 Finger)
Leerdarm (Jejunum)ca. 1,2 m
Krummdarm (Ileum)ca. 1,8 m

Zur Vergrößerung der Schleimhautoberfläche befinden sich im Dünndarm sogenannte Kerckring’sche-Falten (Plicae circularis), Zotten und Mikrovilli. Durch die Falten vergrößert sich die Oberfläche um das Dreifache. Die Zotten erhöhen dies noch mal um das 7- bis 14-fache, die Mikrovilli erzielen eine 15- bis 40-fache Steigerung. Dadurch erhält der Dünndarm eine Gesamtoberfläche von ca. 60 m2. Das entspricht ca. dem 30-fachen unserer Körperoberfläche.

Den Anfang des Duodenums bildet der sogenannte Pförtner (Pylorus). Im Duodenum enden der Hauptgallengang und der Bauchspeicheldrüsengang. Diese Einmündung wird auch als Vater’sche Papille (Papilla duodeni major) bezeichnet.

Vom Duodenum geht es über den Leerdarm (Jejunum) in den Krummdarm (Ileum). Über die sogenannte Bauhin’sche Klappe (Ileocoecalklappe) mündet der Dünndarm in den Dickdarm. Die Ileocoecalklappe (Valva ileocoecalis) bildet einen funktionellen Verschluss zwischen Dünndarm und Dickdarm. Sie ist im normalen Zustand nur von Dünndarm zum Dickdarm geöffnet.

Der Dickdarm

Der Dickdarm weist eine Gesamtlänge von ca. 1,5 m und einen Durchmesser von ca. 6 cm auf. 

Im Gegensatz zum Dünndarm hat der Dickdarm keine Zotten. Durch die Ringmuskulatur bilden sich sogenannte Poschen (Haustra coli). Die Muskulatur des Dickdarms besteht aus Ring- und Längsmuskulatur (Taenien).

Zum Dickdarm gehören:

  • Ileocoecalklappe (Bauhin'sche Klappe)
  • Caecum mit Appendix vermiformis
  • Enddarm geteilt in Grimmdarm (Kolon) und Mastdarm (Rectum)

Der Grimmdarm (Kolon) teilt sich wiederum in:

  • Kolon ascendens
  • Kolon transversum
  • Kolon descendens
  • Kolon sigmoideum

Das Rectum (Mastdarm) bildet ein Reservoir zur Speicherung des Stuhlgangs bis zur Defäkation. Die Länge beträgt ca. 15-30 cm. Das Ende des Rectums wird durch zwei Schließmuskel gebildet (Musculi sphincter ani internus und externus).

Der innere Schließmuskel besteht aus glatter Muskulatur, dadurch kann er nicht willentlich beeinflusst werden. Der äußere Schließmuskel hingegen besteht aus quergestreifter Muskulatur. Diese ist willentlich beeinflussbar. Über den Defäkationsreflex werden diese beiden Muskeln aktiviert.

Ein dritter wichtiger Schließmuskel ist der Musculus puborectalis. Dieser bildet eine Schlinge um den Mastdarm.

Sowohl Rectum als auch Kolon haben die Hauptaufgabe, dem Stuhlgang Flüssigkeit zu entziehen und ihn dadurch einzudicken.

Der Harntrakt

Zum Harntrakt gehören die beiden Nieren, die Harnleiter, die Harnblase und die Harnröhre.

Die Nieren haben vielfältige Aufgaben: die Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten und körperfremden Stoffen, die Aufrechterhaltung des Säure-Basen-Gleichgewichts und die Regulation des Salz-Wasser-Haushalts.

Bei der Filterung des Blutes in den Nieren entsteht Urin. Er gelangt durch die Harnleiter in die Harnblase. Dieser Hohlmuskel speichert den Urin bis zur Entleerung.

Zwei Schließmuskel verschließen den Abgang der Harnröhre. Bei entsprechendem Harndrang öffnen sie sich und der Urin wird über die Harnröhre ausgeschieden.

1 Niere, 2 Nierenbecken, 3 Harnleiter, 4 Blase, 5 innerer Schließmuskel, 6 Beckenboden, 7 Harnröhre

Physiologie

Die Physiologie der Verdauungsorgane und des Harntraktes regelt unsere Nährstoffverwertung. Dafür verantwortlich sind Hormone, Bakterien und Sekrete.

Durch eine Stomaanlage kommt es hier gegebenenfalls zu Störungen. Die folgenden Ausführungen sollen helfen, hierfür ein tieferes Verständnis zu entwickeln, um Fragen von Stomaträgern zu klären und Probleme zu analysieren.

Physiologie des Magens

Im Magen findet zum einen eine Vermengung der Speisen mit den Verdauungssäften statt. Zum anderen dient der Magen als Reservoir. Die im Magen befindlichen Drüsen sondern im Ruhezustand ca. 10 ml Magensaft pro Stunde ab (hauptsächlich Pepsin und Salzsäure). Bei Nahrungsaufnahme kann die Menge auf bis zu 1.000 ml pro Stunde gesteigert werden.

Pepsin dient zur Aufspaltung der Eiweiße. Das Pepsin wird von den Drüsen als Vorstufe (Pepsinogen) produziert. Erst durch den Kontakt mit der Salzsäure wird dieses Pepsinogen aktiviert. Weder Kohlenhydrate noch Fette können im Magen resorbiert werden. Durch den hohen Säuregehalt des Magensaftes werden hier die meisten Bakterien abgetötet. So wird in der Regel eine Infektion verhindert.

Physiologie des Dünndarms

Der Zwölffingerdarm dient vornehmlich der Neutralisierung des Speisebreis (Chymus). Die hauptsächliche Verdauung findet im gesamten Dünndarm statt. Hier werden Kohlenhydrate, Eiweißstoffe, Fette, Vitamine, Salze und Wasser aufgenommen. Im Ileum kommt die Immunabwehr hinzu.

Am Anfang des Dünndarms erfolgt die enzymatische Verdauung. Fette, Proteine und Kohlenhydrate werden durch die Sekrete des Pankreas in ihre Bestandteile aufgespalten. Einzig die Proteine werden nicht komplett gespalten (Umwandlung zu Di- und Tripeptiden). Die Pankreasenzyme gelangen gemeinsam mit den Gallensäuren durch die Vater’sche Papille in das Duodenum. Die Gallensäure dient hierbei zur Lösung der Fette.

Parallel dazu wird der Galle Bilirubin beigemengt. Dieses gelangt dann in den Darm, wo 95 % der Galle rückresorbiert werden. Das in den Dünndarm abgegebene Bilirubin wird dann zu Stercobilin umgewandelt. Etwa 70 % des abgegebenen Bilirubins werden über den enterohepatischen Kreislauf wieder rückresorbiert. Ein Großteil des zurückgebliebenen Bilirubins wird über den Darm ausgeschieden. Ein geringer Teil wird als Urobilin oder Urobilinogen über den Harntrakt ausgeschieden.

Um dieses zu bewerkstelligen, muss bereits eine Vorspaltung durch Amylase (Mundspeichel) und Pepsin (Magensaft) stattgefunden haben. Die Gallensäure  wird zu 95 % resorbiert. Mit Ausnahme der Peptide werden die gespaltenen Nährstoffe über die Schleimhaut in den Kreislauf aufgenommen, in der Leber zwischengespeichert und verarbeitet.

Wichtig für Träger eines Ileostomas ist die Resorption des Vitamins B12.
Sie erfolgt im terminalen Ileum. Dazu benötigt der Körper den sogenannten Intrinsic-Faktor. Dieser wird im Magen von den sogenannten Belegzellen gebildet. Wenn das Ileostoma vor diesem Bereich gesetzt wird, sind Vitamin B12-Injektionen erforderlich.

Der Dünndarm resorbiert täglich ca. 12 l Flüssigkeit. 1,5 l kommen dabei aus der Nahrung, sofern der Patient ausreichend trinkt.

Die resorbierte Flüssigkeit setzt sich hierbei wie folgt zusammen:

FlüssigkeitMenge
Nahrungssaft 1,5 l
Speichel1 l 
Magensaft 1,5 l 
Dünndarmsekret3 l 
Gallensaft 0,6 l 

Die Aufnahme von Wasser im Dünndarm erfolgt durch Osmose. Dafür müssen im Dünndarm zwei Komponenten erfüllt sein:

  • Im Jejunum wird Natriumchlorid in Verbindung mit der Aufnahme von Glukose und Aminosäuren resorbiert (Symport)
  • Chlorid und Bicarbonat werden abgegeben. Dies dient der Aufrechterhaltung eines Ungleichgewichts der Elektrolyt-Konzentration zwischen Darmzellen und Darmlumen.

Physiologie des Dickdarms

Der Dickdarm hat folgende Hauptaufgaben:

  • Speicherung der Faeces (Caecum, Kolon, Rectum)
  • Motilität (Durchkneten der Faeces vor allem durch segmentale Kontraktionen.“)
  • Resorption von Wasser (ca. 0,5 – 1,5 l/Tag) und Salzen (primär NaCl)
  • Regulation der Kaliumaufnahme (überwiegend Sekretion, bei Kaliummangel auch Resorption)
  • Bildung und Aufnahme von Vitamin K und kurzkettigen Fettsäuren durch
    die Bakterienflora
  • Resorption von Eisen
  • Kohlenhydratverdauung durch Gärung
  • Proteinverdauung durch Fäulnis

Die Keimbesiedlung besteht vornehmlich aus anaeroben Keimen.

Darmflora

Die menschliche Darmflora wird aus Bakterien (mehr als 90 Prozent), Archaeen (Einzeller ohne Zellkern, ernähren sich von den Abfällen der Bakterien) und Eukaryoten (Ein- und Mehrzeller mit Zellkern, im Darm zumeist Hefekulturen) gebildet. Somit finden sich in einer gesunden Darmflora Organismen aus allen 3 grundlegenden Domänen, in welche heutzutage alle Lebewesen eingeteilt werden. Der Mensch gehört zum Beispiel zur Gruppe der Eukaryoten.

So wie der Mensch wächst auch seine Darmflora.

Die Darmflora eines ungeborenen Kindes ist als steril zu betrachten. Die ersten Keime, die sich in der Darmschleimhaut niederlassen, sind Escherichia coli, Enterobacteriacaeen und Streptokokken.

Sowohl die Erstbediedelung, wie auch der weitere Aufbau der Darmflora hängt entscheidend von der Ernährung, gerade im Säuglingsalter, ab.
Während bei natürlich gestillten Kindern zuerst Milchsäurebakterien (Bifidobakterien und Lactobazillen) angesiedelt werden, haben Kinder mit Flaschennahrung schon sehr früh eine Darmflora, die der eines Erwachsenen entspricht.
Gerade die Milchsäurebakterien sorgen jedoch am Anfang für ein saures Darmmilieu, welches das Einnisten von pathogenen Keimen weitestgehend verhindert. Dazu bilden diese Bakterien Milchsäure.

Man geht heute davon aus, dass zur Darmflora bis zu 36.000 Spezies gehören.
99 % der Darmflora lässt sich vier verschiedenen Bakterienstämmen zuordnen:

  1. Firmicuten: Bakterienstamm mit der Hauptaufgabe der Teilung von Ballaststoffen in Zucker und Fettsäuren, die dann vom Darm resorbiert werden.
  2. Bacteroidetes: Anaerobe Stäbchen
  3. Proteobacteria: Anaerobe Bakterien, welche die Gärungsprozesse forcieren.
  4. Actinobacteria: Milchsäurebildner

Der Bakterienkomplex im menschlichen Darm hat folgende Funktionen:

  • Immunmodulation
  • Versorgung mit Vitaminen (Thiamin, Riboflavin B2, Pyridoxin B6, B12, K)
  • Unterstützung der Verdauung von Nahrungsbestandteilen
  • Versorgung der Darmepithelschicht mit Energie (Butyrate)
  • Anregung der Darmperistaltik
  • Produktion von kurzkettigen Fettsäuren
  • Detoxifizierung (Entgiftung) von Xenobiotika (körperfremde Stoffe)

Während der Bildung von kurzkettigen Fettsäuren kommt es zur Gasbildung (H2, CO2, CH4). Die Gase werden ausgeschieden (Flatulenz, Blähungen).

Wird aufgrund krankheitsspezifischer Therapien die Darmflora gestört, kommt es nicht nur zu Diarrhöen, sondern es ändert sich auch die Nährstoffaufnahme. Krankheitserreger dringen leichter in den Organismus ein.

Physiologie des Harntraktes

In der Niere wird der Urin produziert. Mittels Osmose und Diffusion werden im Tubulussystem Wasser und Giftstoffe aus dem Blut gefiltert. Man unterscheidet den Primär-Urin und den Sekundär-Urin.

Durch die Nieren fließen in 24 Stunden etwa 1.500 l Blut. Per Filtration entstehen daraus ca. 150 l Primär-Urin. 99 % des Primär-Urins werden in den Nierenkanälchen rückresorbiert. Dabei werden Giftstoffe im Sekundär-Urin zurückgelassen.

Die Menge des Sekundär-Urins beträgt in 24 Stunden etwa 1,5 l. Bei der Konzentration des Primär-Urins findet die hauptsächliche Aufnahme von Traubenzucker statt. 0,1 % der Glucose werden dabei mit dem Sekundär-Urin ausgeschieden.

Bei Diabetikern ist der Blutzuckeranteil so erhöht, dass eine ausreichende Rückresorption nicht mehr stattfinden kann. Der Urinzucker steigt an. Daneben werden Natrium und Aminosäuren aufgenommen.

Bei der Natriumaufnahme werden ca. 99,5 % zurückgewonnen. 0,5 % werden mit dem Sekundär-Urin ausgeschieden. Die Rückresorption von Wasser wird hormonell beeinflusst. Zuständig hierfür ist das Adiuretin, welches im Hypophysenhinterlappen gebildet wird. Die Rückresorption von Natrium regeln die Mineralokortikoide der Nebennierenrinde.

Das Parathormon verhindert die Resorption von Phosphat.

1 Autor: Burkard Kneiseler, exam. Krankenpfleger m. W. Pflegeexperte Stoma, Kontinenz & Wunde (ECET)