Arzneimittel-Inkompatibilitäten
Risikoprävention

Arzneimittel-Inkompatibilitäten

Als Inkompatibilität bezeichnet man eine unerwünschte Reaktion des Wirkstoffs mit dem Lösungsmittel, dem Behälter oder einem anderen Wirkstoff. In Zusammenhang mit einer Infusionstherapie wird zwischen physikalischen und chemischen Inkompatibilitäten unterschieden.1,2

Als medikamentöse Wechselwirkung bezeichnet man eine Veränderung der Wirkungen einer Substanz, die durch das Einwirken einer anderen Substanz (z. B. Arzneimittel, chemische Substanz, Nahrung) im Organismus hervorgerufen wird.1,3

Wussten Sie schon?

In the ICU environment DRUG INCOMPATIBILITIES can contribute to up-to 25% of MEDICATION ERRORS. A certain number of drugs, such as Diazepam, Carmustine or Calcitriol are not compatible with material and adhere to it.

Ursachen

Inkompatibilitäten sind möglich:

  • wenn Arzneimittel mit ungeeigneten i.v.-Lösungen verdünnt werden
  • zwischen zwei Arzneimitteln (Arzneimittelinkompatibilität), wenn diese
    - zusammengemischt, d. h. im selben Infusionsbehälter oder über dasselbe Infusionssystem (simultane Infusion) oder
    - hintereinander, ohne Zwischenspülen über dasselbe Infusionssystem verabreicht werden
  • zwischen Arzneimitteln und Adjuvantien (Konservierungsstoff, Puffer, Stabilisator, Lösungsmittel)
  • zwischen Arzneimitteln und dem Material des Infusionsbehälters (z. B. PVC) oder der medizinischen Ausrüstung, bedingt durch die Art des verwendeten Materials und/oder durch Reaktionen auf der Innenfläche (z. B. Adsorption).1,3,7,8
Parallel infusion in standard IV therapy.

Abb. 1: Häufigste Ursachen von Inkompatibilitäten in der Standard-Infusionstherapie

Folgen

Präzipitationen oder die Bildung toxischer Neben- oder Abbauprodukte können zahlreiche nachteilige Konsequenzen für den Patienten haben.

  • Schädigung durch toxische Produkte
  • Bildung von Embolien aus Partikeln, die aufgrund von Kristallisation und Zersetzung entstanden sind
  • Hautirritationen auf Grund von massiver Änderungen des pH-Wertes
  • Versagen der Therapie

Das Ausmaß der Schädigung hängt vom Zustand des Patienten (Alter, Gewicht, Art und Schweregrad der Erkrankung) und von der Art der Inkompatibilität ab. Bei Neugeborenen und Kindern sind die Folgen physikalisch-chemischer Inkompatibilitäten besonders schwerwiegend.1,7,9

In der medizinischen Fachliteratur finden sich nur wenige Angaben zur Häufigkeit von Inkompatibilitäten. Eine Untersuchung von Inkompatibilitäten auf einer pädiatrischen Intensivstation ergab, dass 3,4 % aller Arzneistoffkombinationen inkompatibel waren und demzufolge potenziell gefährlich.10 Als lebensbedrohend wurden 19 % der auf einer Intensivstation beobachteten Inkompatibilitäten bewertet.11

In einer anderen Ausarbeitung fanden sich bei 15 % von 78 verschiedenen Medikationsschemata Inkompatibilitätsreaktionen, die sich durch die Einführung einer einfachen Farbkodierung auf 2 % dauerhaft reduzieren ließen.12 Taxis und Barberberichteten, dass in der Intensivmedizin klinische Inkompatibilitäten 25 % der Medikationsfehler ausmachten. Andere Veröffentlichungen zeigten, dass abhängig vom Typ der Versorgungseinrichtung in Deutschland 49% der verabreichten Arzneimittel mit einem ungeeigneten Lösungsmittel zubereitet worden waren.13

Präventionsstrategien

Zur Vermeidung gefährlicher Inkompatibilitäten und um die Patientensicherheit zu gewährleisten, ist es wichtig, die verschiedenen Arbeitsschritte in den unterschiedlichen Prozessen zu kombinieren:

Compatibility checking using available literature, databases, services and information material.
Abb. 2: Kompatibilitätsprüfung mit Hilfe von verfügbarer Literatur, Datenbanken, Diensten und Informationsmaterialien.
  • Informationen zu Arzneimittel-Inkompatibilitäten sind in den Fachinformationen der Arzneimitteln unter den Abschnitten 6.2. Inkompatibilitäten und 6.6. Besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Beseitigung und sonstige Hinweise zur Handhabung zu finden. 
  • Prüfung und Planung der Infusionsregime zur Vermeidung der gleichzeitigen Gabe einzelner Medikamente, die separat appliziert werden müssen.  
  • Genaue und eindeutige Kennzeichnung aller Arzneimittelzubereitungen (einschließlich Arzneimittel und Konzentration).
  • Zeitliche und örtliche Trennung der Arzneimittelgaben, beispielsweise durch Spülen des Infusionssystems mit einer neutralen intravenösen Lösung vor Verabreichung des nächsten Arzneimittels.2,8,9,12,14
Color coding and drug separation for prevention of drug incompatibilities .
Abb. 3: Genaue und eindeutige Kennzeichnung (Farbcodierung) aller Arzneimittelzubereitungen (einschließlich Arzneimittel und Konzentration)
  • Zwingende Prüfung, ob andere Verabreichungsmodalitäten und/oder der Einsatz von Multilumen-Kathetern in Betracht kommen.
  • Durch den Einsatz von Inline-Filtern kann verhindert werden, dass Partikel, die durch Inkompatibilitäten entstanden sind, in den Körper gelangen. Inline-Filter halten feste Partikel von mindestens 0,2 μm Größe zurück (abhängig von dem gewählten Filtermodell).15 Dadurch kann der Filter verstopfen. Dies darf nicht als Fehlfunktion des Filters interpretiert werden, sondern sollte Anlass für eine Überprüfung der Medikation sein, um Inkompatibilitäten auszuschließen.

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Literaturangaben

1  Fahimi F, Sefidani Forough A, Taghikhani S, Saliminejad L. (2015) The rate of Physicochemical Incompatibilities, Administration Errors. Factors correlating with Nurses’ errors. Iran J Pharm Res; 14(suppl); 87-93

2 RCN (2010) Royal College of Nursing. Standards for Infusion Therapy.

3 Emami S, Hamishehkar H, Mahmoodpoor A, Mashayekhi S, Asgharian P. (2012) Errors of oral medication administration in a patient with enteral feeding tube. J Res Pharm Pract; (1): 37-40

4 Taxis K, Barber N. (2004) Incidence and severity of intravenous drug errors in a German hospital. Eur J Clin Pharmacol; 59(11): 815-7

5 Mitrano, Newton, Factors affecting insulin adherence to type I glass bottles, AM J Hosp Pharm 1982 Sep;39(9):1491-5., https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/6753574/ (Zugriff 06.2021)

6 Fachinfo Paclitaxel Kabi 6 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Fresenius Kabi, Fachinfo-Service, Fachinformationsverzeichnis Deutschland, www.fachinfo.de (Zugriff 06.2021)

7 Vijayakumar A, Sharon EV, Teena J, Nobil S, Nazeer I. (2014) A clinical study on drug-related problems associated with intravenous drug administration. J Basic Clin Pharm; 5(2): 49-53

8 Westbrook JI, Rob MI, Woods A, Parry D. (2011) Errors in the administration of intravenous medications in hospital and the role of correct procedures and nurse experience. BMJ Qual Saf; 20(12): 1027-34

9 Höpner JH, Schulte A, Thiessen J, Knuf M, Huth RG. (2007) Preparation of a compatibility chart for intravenous drug therapy in neonatal and pediatric intensive care units. Klin Padiatr; 219(1): 37-43

10 Gikic M, Di Paolo ER, Pannatier A, Cotting J. (2000) Evaluation of physicochemical incompatibilities during parenteral drug administration in a paediatric intensive care unit. Pharm World Sci; 22(3): 88-91

11 Tissot E, Cornette C, Demoly P, Jacquet M, Barale F, Capellier G. (1999) Medication errors at the administration stage in an intensive care unit. Intensive Care Med; 25(4): 353-9

12 Vogel Kahmann I, Bürki R, et al. (2003) Incompatibility reactions in the intensive care unit. Five years after the implementation of a simple "colour code system". Anaesthesist; 52(5): 409-12

13 Cousins, B Sabatier, D Begue, C Schmitt, and T Hoppe-Tichy. (2005) Medication errors in intravenous drug preparation and administration: a multicentre audit in the UK, Germany and France. Qual Saf Health Care; 14(3): 190-195

14 Riemann T, Schröder F. (2005) More effective prevention of incompatibility reactions through the use of four lumen central venous catheters in critically ill patients. PflegenIntensiv; 2(1): 57

15 Jack T, Boehne M, Brent BE, Hoy L, Köditz H, Wessel A, Sasse M. (2012) In-line filtration reduces severe complications and length of stay on pediatric intensive care unit: a prospective, randomized, controlled trial. Intensive Care Med; 38(6):1 008-16