Formen
Harnkontinenzstörung

Formen der Harnkontinenzstörung

Es gibt mehrere Formen von Harnkontinenzstörungen. Die Klassifikation einer Harninkontinenz richtet sich nach einem Vorschlag der International Continence Society (ICS) und unterscheidet folgende Formen:

  • Belastungsinkontinenz
  • Dranginkontinenz 
  • Mischinkontinenz
  • Reflexinkontinenz 
  • Überlaufinkontinenz

Weitere Formen sind die supraspinale Inkontinenz, die extraurethrale Inkontinenz sowie die Enuresis bei Kindern. Auch die Reizblase oder hyperaktive Blase mit konsekutiver Pollakisrie ist eine Form der Harninkontinenz.

Belastungsinkontinenz

Illu05-Belastiungsinkontinenz_210506_RGB Kopie
Belastungs-Harninkontinenz

Bei der Belastungsinkontinenz führt eine körperliche Belastung oder Anspannung, wie beispielsweise Niesen, Lachen oder Heben, zum Urinverlust. Die Ursachen sind vielfältig und können unter anderem durch eine Hypermobilität der Urethra bei Insuffizienz der Beckenbodenmuskulatur sowie fehlendem muskulärem Widerlager der Vagina und konsekutivem insuffizienten Verschlussdruck der Urethra bedingt sein.

Ebenso ist ursächlich eine intrinsische Sphincterinsuffizienz möglich, wobei hier der natürliche Tonus der Urethra herabgesetzt ist. Diese Form der Inkontinenz ist insbesondere nach operativen Eingriffen am Beckenboden oder bei neuromuskulären Erkrankungen zu beobachten. Von dieser Form sind ca. 35 bis 45 Prozent aller Harninkontinenten betroffen. Insbesondere bei jungen Frauen ist diese Inkontinenzform verbreitet, die höchste Inzidenz der Erkrankung wird zwischen dem 45. und 49. Lebensjahr beobachtet.

Weitere ätiologische Faktoren

Bei Frauen:

  • Mögliche Überdehnung des Beckenbodens nach Spontangeburt
  • Beckenbodenschwäche
  • Durchblutungsminderung durch Hormonmangel im Klimakterium (Wechseljahre, Östrogene)
  • Allgemeiner Muskelschwund im Alter
  • Übergewicht
  • Chronische Obstipation (Verstopfung)
  • Intraabdominelle (innerhalb des Bauchraumes) Druckerhöhung

Bei Männern:

  • Schließmuskelverletzung als Folge einer Prostataoperation (Vorsteherdrüse)
  • Chronische Obstipation

Die Belastungsinkontinenz wird nach drei Schweregraden gegliedert:

 

Schweregrad der Belastungsinkontinenz

Grad I 

Urinverlust bei Bauchpresse in Ruhe 

Grad II

Urinverlust bei plötzlichen Bewegungen 

Grad III

Urinverlust im Liegen 

Hilfsmittelarten

Therapiemöglichkeiten

  • Beckenbodentraining (evtl. in Kombination mit Elektrostimulation und Bio-Feedback)
  • Einsatz von Pessaren und Tampons (Schaumstoff)
  • Operative Wiederherstellung der Beckenboden- und Harnröhrenfunktion
  • Medikamente bei geringfügiger Belastungsinkontinenz (Serotonin und Norepinephrin-Reuptake-Hemmer, z. B. Duloxetin)
  • Stabilisierung der Harnröhre durch Einbringen eines Gel-Implantates
  • Transurethrale Radiofrequenz-Kollagen-Denaturierung

Dranginkontinenz

Illu06-Dranginkontinenz_210506_RGB Kopie
Dranginkontinenz

Bei der Dranginkontinenz ist ein ungewöhnlich häufiger, plötzlich und stark auftretender Harndrang das entscheidende Symptom. Manche Betroffene müssen bis zu fünfmal pro Stunde eine Toilette aufsuchen.

Bei dieser Form liegt eine Störung der Speicherfunktion der Harnblase vor. Eine neurologische Erkrankung muss bei der Diagnostik ausgeschlossen werden.

Die Dranginkontinenz steht häufig im Zusammenhang mit einer Überaktivität des Blasenmuskels (Detrusorhyperaktivität), die neurogene oder idiopathische Ursachen haben kann. Sie ist vor allem bei älteren Frauen zu beobachten.

Mögliche Ursachen

  • Reizung der Blasenwand oder des Blasenauslasses (z. B. Entzündungen, Steine, Tumore, Blasendrainage)
  • Instabilität des Blasenmuskels
  • Blasenreizung durch Erkrankung der Nachbarorgane

Hilfsmittelarten

Therapiemöglichkeiten

  • Medikamente (Anticholinergika, Botulinumtoxininjektion)
  • Kausale Therapie, z. B. bei Entzündungen
  • Toilettentraining
  • Operationen, einschließlich sakraler Nervenstimulation, nur in ausgewählten Fällen

Mischinkontinenz

Illu07-Mischinkontinenz_210506_RGB Kopie
Mischinkontinenz

Vor allem bei Frauen treten in einigen Fällen die typischen Symptome von Belastungs-und Dranginkontinenz gemeinsam auf. Die Patienten verlieren unwillkürlich Urin beim Husten, Niesen, Lachen oder Heben von Gegenständen. Gleichzeitig leiden sie unter einem häufigen, kaum unterdrückbaren Harndrang.

Der Mischinkontinez liegt eine überaktive Blase und gleichzeitig ein defekter Verschlussmechanismus des Blasenausgangs zugrunde. Wichtig in der Therapie der Mischinkontinenz ist eine Evaluation der führenden Störung, etwa durch urodynamische Untersuchungen. Im Folgenden wird eine Therapie der führenden Störung empfohlen.

Überlaufinkontinenz

Illu08-Überlaufharninkontinenz_210506_RGB Kopie
Überlaufinkontinenz

Bei der Überlaufinkontinenz kann der Patient seine Harnblase nicht komplett entleeren. Es bleibt Restharn in der Blase zurück. Die Überlaufinkontinenz tritt vor allem bei Männern mit vergrößerter Vorsteherdrüse (Prostata, Prostataadenom) und bei Frauen nach einer Verlagerung der Organe des Unterleibs auf.

Ursachen

  • Blasenmuskelschwäche, z. B. durch Nervenschädigungen bei Diabetes oder anderen Erkrankungen
  • Blockierung der Harnröhre durch z. B. Tumore oder Harnsteine
  • Bei Männern z. B. Prostatavergrößerung
  • Bei Frauen meist mangelnde Kontraktionsfähigkeit (Zusammenziehen) des Blasenmuskels

Symptome

  • Häufiges Wasserlassen
  • Abgeschwächter Harnstrahl bis hin zum tröpfchenweisen Urinabgang
  • Schwierigkeiten bei der Blasenentleerung

Hilfsmittelarten

Therapiemöglichkeiten

Die Behandlung erfolgt in Abhängigkeit der zugrunde liegenden Erkrankung. Dementsprechend ist hier in der Regel eine Beseitigung des Abflusshindernisses notwendig, ggf. eine instrumentelle Harnableitung.

Supraspinale Inkontinenz

Illu09-SupraspinaleRefelxinkontinenz_210506_RGB Kopie
Supraspinale Reflexinkontinenz

Supraspinale Reflexinkontinenz

Bei der supraspinalen Reflexinkontinenz geht die Kontrolle über die willkürliche Blasenentleerung aufgrund von Hirnleistungsstörungen verloren.

Ursachen

Leistungsstörungen des Gehirns, wie z. B.:

  • Demenz
  • Apoplexie (Schlaganfall) 
  • Morbus Parkinson
  • Morbus Alzheimer

Spinale Reflexinkontinenz

Bei der spinalen Reflexinkontinenz geht die Kontrolle über die willkürliche Blasenentleerung aufgrund von neurologischen Erkrankungen und Verletzungen verloren. Hier können hyper- und hypoaktive Störungen von Detrusor vesicae und Sphinkter auftreten.

Ursachen

  • Querschnittverletzungen
  • Spina bifida
  • Multiple Sklerose
  • Geschwülste

Symptome für die supraspinale und spinale Reflexinkontinenz

Plötzlich unwillkürliche Blasenentleerung in wechselnden Intervallen und unterschiedlichen Mengen.

Therapiemöglichkeiten

Extraurethrale Inkontinenz

Illu10-ExtraurethaleHarninkontinenz_210506_RGB Kopie
Extraurethrale Harninkontinenz

Bei der extraurethralen Inkontinenz liegt eine organische Fehlbildung der unteren Harnleiter vor, bei der eine Harnableitung neben dem eigentlichem Schließapparat stattfindet. Der Urin wird nicht über die Harnröhre ausgeschieden, sondern über eine andere unnatürliche Öffnung bzw. Verbindung (Fistelbildung). Diese Form der Harnkontinenzstörung ist relativ selten anzutreffen. 

Symptome

  • Ständiger, unkontrollierter Harnverlust

Ursache

  • Angeborene Fehlbildung der oberen Harnwege, z. B. fehlmündende Harnleiter
  • Sekundär entstandene Verbindungsgänge, z. B. Fisteln

Hilfsmittelarten

  • Anatomisch geformte Vorlagen
  • Externe Auffangsysteme
  • Therapiemöglichkeit
  • Operation

Dauerkatheter-Sets

Enuresis

Bei einer primären Enuresis ist das Sympathikus/Parasympathikus-System, das die Blase innerviert und dadurch Informationen über den Füllungszustand an das ZNS weiterleitet, noch nicht vollständig entwickelt. Dadurch kommt es bei rund jedem 10. Kind, das älter als vier Jahre ist, zum wiederholten Einnässen, da es den Druck auf die Blase oft nicht rechtzeitig wahrnimmt. Aber auch psychischer Stress kann dazu führen, dass ein Kind seine Blase nicht unter Kontrolle hat. Dies wird als sekundäre Enuresis bezeichnet.

Therapiemöglichkeiten

Je nach Diagnose stehen unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Reizblase oder funktionelle Inkontinenz

Die Reizblase ist eine Sonderform der Inkontinenz. Unter dem Begriff Reizblase bzw. überaktive Blase versteht man eine funktionelle Störung der Blasenfunktion ohne organpathologischen Befund. Es kommt dabei zu einer gehäuften Blasenentleerung mit oder ohne unfreiwilligen Harnabgang.

Die Ursachen sind noch nicht eindeutig geklärt. Auslöser können eine Fehlfunktion des Musculus detrusor vesicae sein, ebenso psychische Faktoren oder seelische Belastungen. Entsprechend steht hier bei der Therapie die Beratungsfunktion mit psychischer Betreuung und ggf. Umfeldveränderung im Vordergrund.

Downloads

Beschreibung Dokument Link
DocHdl1OnPTR_SERVERtmpTarget
pdf (4.6 MB)